Berlin ist wunderschön!

Dieser Beitrag geht an alle da draußen, die auch gerade eine Baustelle vor der Nase haben und nicht das Klavier zur Hand, um lautstark gegen den Krach zu musizieren. Ich hab das mal kurz erledigt! Und an alle Nichtberliner: Kommt alle her! Ist wunderschöööön!

 

Ein Walkman auf Entzug (Aus der Bahn 5 / 12)

Foto0377Hochgeschaukelt von frühlingshaften Gefühlen setze ich mich auf Bahnentzug und atme bei einem Spaziergang belebende Liebesluft.

Der Wintermantel landete auf dem Zwischenboden und die Stiefel wurden mit  Trainingsschuhen getauscht. Mein Körper fühlt sich zehn Kilogramm leichter an. Und diese Bewegungsfreiheit in den Frühlingsklamotten! Endlich kann die Haut wieder atmen. Nicht nur der Körper, auch der Geist genießt den Sauerstoffcocktail. Im Gleichschritt gehen Körper und Geist mit mir spazieren. Mal sehen, wohin sie mich heute führen.

Ein Liebespaar am Arnimplatz. Das scheint den Geist zu interessieren. Ich halte an. Der Kopf dreht sich. Eine Parkbank. Schon sitze ich. Meine Augen verfolgen ein junges Paar, das sich am Sockel des Bettina und Achim von Arnim-Denkmals niedergelassen hat. Träumen sie oder lassen sie ihre Blicke in die Weite schweifen? Sehen wir hier den Ausgang einer anregender Auseinandersetzung, die sich dem Schweigen ergab? Oder genießt das Liebespaar die letzten Momente vor einem längeren Abschied?

Das in Bronze gegossene Dichterpaar wacht über das junge Glück zu ihren Füßen. Die Liebenden halten Inne, als die Statue zum Leben erwacht. „Nicht fester hängt die Pflanze an der Erde, Als ich von deiner Nähe festumschlossen werde.“, haucht Achim von Arnim und lässt sich in den Schoß seiner Frau fallen. „Es ist mein Auge vor ihm zugesunken,
Der mich so seltsam mit dem Blick umwoben, In seinem Lichte lieg ich traume-trunken.“
, flüstert Bettina und streichelt über den Kopf ihres Mannes. Als das Paar zu ihren Füßen sich regt, nehmen Achim und Bettina schnell wieder die alten Positionen ein.

Bevor ich mich auf den Heimweg mache, gehe ich ganz nah an den Beiden vorbei und ziehe mir Liebe durch die Nasenflügel. „...Liebe ist die Luft, die wir trinken.“ Sie schmeckt nach Lavendel und Schnittlauch. Unglaublich. Im Winter roch Liebe für mich nach Achselschweiß. Ich erinnere mich an zwei Küssende, die mir im Januar im Nacken hingen und mich dermaßen zur Weißglut brachten, dass ich beinahe den Platz gewechselt hätte. Entschied mich dann aber dagegen. Toleranz schulen, dachte ich, ist das erste Gebot eines jeden Berliners.

(Veröffentlicht in den Prenzlberger Ansichten, Mai 2014)

Das alte Lied …

Der Strudel der Liebe
Macht Worte zu Raketen
Und liquidiert Substanzen
Der Boden bringt den
Küchentisch ins Wanken
Und lässt fallen
Das Frühstück.
Bestehend aus
Zigaretten, Kaffee und Koks<

Zieh' doch auch 'ne Line
Nein, Danke, ich liebe nicht
Berauscht zu sein<
Das ist gelogen!
Ich weiß!
Aber du bist auch nicht
Aufrichtig.
Mit mir.
Da nehm' wa' uns nicht viel
Du und ich
Und die Liebe
Wo soll das nur hinführen?
Erst durstet's einem
Und dann ertrinkt man
An ihr
Immer das Selbe …

Ruby und das Meer

Gestern buk ich zwei Apfelstrudel,
einen hat der Hund gefressen
Als sich das Bug bog, flog der Kapitän
samt Mannschaft ins Meer
Das hab ich vorher auch noch nie gesehn

Ich will mich ja nicht beschweren,
die See frißt Schiffe,
Der Hund meinen Strudel
Besser Apfel- statt Müllstrudel,
hab ich gedacht

Hoffen wir mal, er hat keine Magenschmerzen!

Weddingwandler: Die Tugendbewegung

SONY DSCWenn ich mir Sokrates im Wedding des 21.Jahrhunderts denken müsste, dann käme ich schnell an die Grenzen meines Vorstellungsvermögens. Eventuell wäre er einer von den Flaschensammlern. Er schliefe um diese Zeit mit seinem Hund Aristoteles unter einem Kastanienbaum in den Rehbergen und wüsche sich im Plötzensee. Die Suppe von der letzten „Volxküche“ hinge noch in seinem Vollbart.

Tugendhaftes Leben wird heute definitiv nicht mehr von bärtigen alten Männern verbreitet. In der Regel sind die Asketen der Neuzeit jung, attraktiv, gebildet und… nicht gerade wohlhabend. So wie die Weddingwandler. Sie tun völlig unprätentiös ihren Dienst am Kiez, “für mehr Nachbarschaft und enkeltaugliches Leben”.

Am letzten Sonntag konnte man sie vor dem Café Tassenkuchen treffen. Einige von ihnen schraubten an Fahrrädern und machten sie frühjahrstauglich, Ehrensache. Andere hängten ausrangierte Kleidungsstücke an eine Wäscheleine, zum Mitnehmen. Wieder andere unterhielten sich mit ein paar Nachbarn und schauten das Saatgutangebot durch, ist vielleicht was für den eigenen Balkon dabei? Passanten mögen sich über den Frieden und die Harmonie gewundert haben, die Weddingwandler in den Kiez brachten. Diese Freundlichkeit ist man ja in Berlin generell nicht gewohnt, schon gar nicht von den Jüngeren. Die Nachbarn tragen gewöhnlich schwarze Balken über den Augen und rennen so schnell an einem vorbei, dass sie auch nach Jahren noch ein Mysterium bleiben. Nicht so die Weddingwandler, sie wirken offen und entspannt.

Haben die vielleicht einen im Tee?

Absolut.

Weddingwandler bekommen wöchentlich Tee, Kräuter, Gemüse und Obst aus dem Gutshof Neuruppin direkt in die Malplaquetstraße geliefert. Wer will, kann sich für 60 Euro im Monat eine Lieferung sichern, die garantiert einen 2-Personen-Haushalt versorgt. Falls es dann noch an Brot fehlt, steht das Brotback-Kollektiv gern zur Seite. Für alles Übrige empfiehlt sich der Biomarkt am Leopoldplatz, der jeden Dienstag und Freitag stattfindet. Verhungern muss im Wedding also keiner und für Kleidung und Mobilität ist dank der Kleidertausch- und Fahrradreparatur-Aktionen auch gesorgt.

Was jetzt noch fehlt, ist ein wenig Aufklärung. Dafür finden beispielsweise Filmabende statt, während denen überwiegend gesellschaftskritische Dokumentationen gezeigt werden. Diskussion inbegriffen. Wem so viel Gutes befremdlich erscheint, dem sei hiermit versichert: Es gibt keinen Haken, keinen Knebelvertrag, keine Sekte dahinter. Die Initiative Weddingwandler ist ein eher ungefährlicher Sprössling der Transition Town-Bewegung, die 2006 von Permakulturisten in Großbritannien ins Leben gerufen wurde. Die Bewegung möchte Städte in einen freundlichen Lebensraum umwandeln. Da helfen Gemüsebeete, da hilft aber manchmal auch schon ein Lächeln.

Heutzutage muss man kein Philosoph sein, um für ein tugendhaftes Leben mit gutem Beispiel voran gehen zu wollen. Die antiken Kardinaltugenden – Besonnenheit, Tapferkeit, Weisheit und Gerechtigkeit – wurden in den letzten zwei Jahrtausenden dermaßen unter Mitleidenschaft gezogen, dass Überholungsbedarf mehr als offensichtlich ist. Von Permakultur, Fair Trade und Ökostrom hatte Sokrates damals natürlich noch keine Ahnung. Doch er wusste, die Welt ist im Wandel – was heute noch als selbstverständlich gilt, kann bereits morgen der Geschichte angehören. Davon hat selbst unser selbstvergessener Wedding Wind bekommen, und wandelt fleißig mit. Alle Infos und Termine der Weddingwandler hier: weddingwandler.de

Veröffentlicht am 01.04.14 auf dem Wedding-Blog des Tagesspiegels.

Schneeglöckchen-Revolution (Aus der Bahn 4 | 12)

FrühlingManche liebt man. Andere hätte man lieber lieben wollen. Wieder andere liebt man unbemerkt. An sie denke ich am Liebsten.

Wenn Winter und Sommer sich gemäß ihrer alljährlichen Tradition zu einem klandestinen Stelldichein treffen, dann ist der Frühling da. Die stürmische Liebesaffäre zwischen den zwei Jahreszeiten verblüfft uns jedes mal aufs Neue, wenn wir Zeugen ihrer unermüdlichen Sehnsucht werden. Wie oft hat der Sommer den Winter schon vor die Tür gesetzt? – Mal nach einem ausgiebigen Liebesurlaub, mal nach einem Quickie im Gebüsch. Doch in der Liebe sind wir alle unbelehrbar.
Als zum ersten Mal in diesem Jahr die Sonne zärtlich meinen Nacken streichelt, erwache ich wie ein Schneeglöckchen, das sich energisch aus dem Erdreich kämpft. „Schau dir die Sonne an!“, ermuntere ich meinen Sitznachbarn in der S-Bahn. Er lächelt mich an, wir strahlen gemeinsam zur Sonne; dann lassen wir schnell wieder unsere Köpfe hängen. Schneeglöckchen eben.
„Das ist der erste Tag in meinem Leben!“, denke ich, weil ich ein Dutzend anderer erster Tage vergessen habe. Wenn der Winter die Jahreszeit des Vergessens ist, dann wird im Frühling mir das Vergessen meines Vergessens gewahr. Im April sprießen die wilden Erinnerungen. Ich durchlebe die Liebesgeschichten, die ich über Monate erfolgreich verdrängte. Die abgehefteten Liebeserklärungen der vergangenen Lenze liegt als dicker Papierstapel auf meiner Brust. Mein Herz zerspringt! Alles springt!
„Spring!“, rufe ich einem Touristen beim Aussteigen zu und lache noch an der nächsten Straßenecke über sein verdutztes Gesicht. Jeder Gedanke ein Ausruf! Ich möchte den restlichen Weg gehen, dann laufe ich und vergesse mich schließlich im Rennen. Leider will mein verwinterter Körper nicht wie mein sommerliches Gemüt. Ich gönne mir eine Verschnaufpause im Eisladen Cohlila in der Gleimstraße. Als ich meine Bestellung aufgebe, ‚weiße Schokolade-schwarze Olive‘, lächelt mich der Mann mit dem ‚Erdbeer-Minze‘-Eis an. „Tut mir leid, ich bin ein Schneeglöckchen!“, erwidere ich und senke verlegen den Kopf. Ich beiße in mein Eis und frage mich, wie wohl ‚Weiße Schokolade-schwarze Olive-Erdbeer-Minze‘-Eis schmecken würde. Bei der nächsten Gelegenheit werde ich mich dem Fremden um den Hals werfen und die Erdbeer-Minze von seinen Lippen trinken! Zeit für eine Schneeglöckchen-Revolution! Auf einen Frühling auf Lebenszeit!

(Veröffentlicht in den Prenzlberger Ansichten, April 2014)

Meine Geister

Bin zart besaitet
Hab mich verkleidet
Zupf die Saiten
Hüpf durch die Zeiten

Kann mich selbst nicht leiden
Kann mir nichts ankreiden
Lass es geschehn
Ohne es zu verstehn

Auf Wiedersehn.

Reißt die Saite
Schrein die Geister
Klettern heiter
Ohne Leiter

Meine Gedanken
Sind vergoldetes Nichts
Meine Geister
Wollen zum Licht

Man lässt sie nicht.

Der Erinnerung Kuss

>Mein Rock war kurz
Die Ohrringe klapperten
Ich ließ mir ein Bier ausgeben
Wehrte einen Kuss ab

Ich gab dem Versucher meinen Facebooknamen
Und löschte ihn nach zwei Monaten
Den Namen hab ich vergessen
Er kam aus Württemberg

Der lustige Tanzbär
Sprach mit den Mäuschen
Herr Halm hatte Shaker dabei
Wir shakerten die Nacht durch

Acht getanzte Stunden
Endeten mit Mondschnecken
Trotz Avancen hatten wir
Einander nicht verloren

Wir schliefen den dritten Oktober durch
Ich erwachte allein in der Dämmerung
Und wusste, dass ich verliebt bin
In jemanden, der gar nicht da war

Ich war so glücklich
Wie ich es als Schulkind nie war
Ich wünschte, wir könnten
Diesen Status quoten

Jetzt ist schon 2014
Und wir sind verwachsen
Nur der Erinnerung Kuss
lässt sich abwehren

Sonst macht mir keiner mehr Avancen

Der unersättliche Orion (Aus der Bahn 3|12)

Foto0388Ich steige an der Schönhauser Allee in die S2. Mir gegenüber sitzt eine dicke Mutti. Sie what’s app’t.

Jede neue Nachricht kündigt sich mit einem hellen Kinderlachen an. Das ist deshalb besonders irritierend, weil der Junge, zu dem das Lachen gehört, vor ihr im Kinderwagen sitzt. Er lacht nicht. Stattdessen versucht er sich Stücke des Brötchens in den Mund zu stecken, das seine Mutter ihm während ihrer virtuellen Konversation achtlos in die Hand drückte. Dabei vergaß sie, ihm den Nuckel aus dem Mund zu nehmen. Wie sich denn jetzt mitteilen? Der Junge beginnt erst sich Brotkrümel in Augen, Ohren und Nasenlöcher zu stecken. Die aufmerksamen Blicke der Mitfahrer animieren ihn anschließend dazu, die Krümel wild durch die Bahn zu werfen. Dabei lacht er fast so smart wie Mamas Telefon.

Als die Mutter die Krümelsauerei bemerkt, entzieht sie dem armen Kerl das Brötchen, sagt „alle, alle“ und erklärt auf die Nachfrage „Äh? Äh?“ ihres Kindes: „Das hat der Hund gefressen. Der ist schon weggegangen!“ Der Junge schaut sich nach dem Hund um und dann seine Mutter äußerst skeptisch an. Ich fühle mit ihm, als er völlig unerwartet hinter seinem Rücken ein zweites Brötchen hervorzaubert und das Spiel weiter treibt. Er hält das Brötchen wie eine Trophäe in die Höhe. Ich klatsche leise in mich hinein. An der Friedrichstraße steige ich aus.

Der Bahnhof trägt ein neues Kleid. Bayrischer Leberkäse ist jetzt da, wo neulich noch Damisch war und Ditsch kaufte den doppelt so großen Laden gegenüber. Der Schmuckladen hat geschlossen. Der Blumenladen existiert seit Ewigkeiten, ändert alle paar Jahre seinen Namen aber überlebt. Ebenso der Friseur im Zwischendeck. Wer lässt sich dort die Haare schneiden, neben Orion?

In dem Moment kommt mir eine Szene aus dem vorletzten Frühherbst in den Sinn. Auf dem Weg in ein nächtliches Abenteuer zeigte J. in den Himmel und rief: „Schau‘, da ist der Gürtel des Orion! – Und der ist nicht aus Leder!“ Wir feierten bis elf Uhr vormittags und verschliefen den dritten Oktober.

Die fleißigen Ameisen huschen an mir vorbei wie an einem Straßenpoller. In manche Augenblicke muss man sich hineinbeißen.

(Veröffentlicht in den Prenzlberger Ansichten, März 2014)

Für einen Nachbarn

Wenn deine Hand auf der deines Nachbarn ruht
Hör mal, was sein Herz dann tut
Niemand möchte ohne den anderen sein
Für dein Herz ist die Welt zu klein

Großes fühlst du, großes denkst du
Hörst so, siehst so, sprichst so gern
Die ganze Welt ist dir am Nächsten
Doch du bist dir selbst so fern