Die orangen Füchse von Berlin (Aus der Bahn 1 |12)

f4193853Zwei ältere Herren in orangen Westen stehen um zwei Uhr nachts auf den Stufen des S-Bahnhofes Prenzlauer Allee und befreien sie vom Großstadtschmutz.

Eine Kaskade erschleicht ihren Weg in den Abgrund. Keine Zikade begleitet den ruhigen Fluss. Fast lautlos, kein Platschen, kein Tropfen, nur ab und an das Geräusch der hölzernen Besenstiele, die an die steinerne Bahnhofswand stoßen. Klack, Klack. Im Takt. Sieht so das Glück aus? Ruhe durchströmt mich. Ein Gedanke von Harmonie. Alles im Einklang. Natur im dreckigen Großstadtwald. Hyänen stampfen links und rechts an den orangen Männern vorbei, beeinflussen den Fluss des Wassers, zerstören den Takt der Besen. Wie scheue Füchse, die ihren Rivalen mit Ehrfurcht gegenüber stehen, gelähmt von der souveränen Ziellosigkeit der nächtlichen Jäger, halten die Männer Inne und warten bis der Ansturm vorüber ist. Sie wollen sich an Wänden entlang schleichen; tun, was sie tun müssen; nicht gestört werden. Sie wollen unsichtbar sein.

Als die Bahn einfährt, folge ich widerwillig den Hyänen in den leeren Wagon. Grelles, weißes Licht verhört mich: Wo willst du hin? – Ich weiß nicht… Zum Glück bestimmen die Gleise den Verlauf. Ich sitze auf einem Dreiersitz im Durchgang und starre sinnlos aus dem Fenster. Da ist nichts. Was suchst du? In jeder Kurve windet sich neben mir das akkordeonförmige Verbindungsglied und lässt den S-Bahnmagen knurren. Ich sitze im leeren Bauch eines Tausendfüßers. Die Heizungsluft kleidet meine Kehle mit Schleifpapier aus. Das Gliedertier kommt ins Stocken und ich schleich‘ mich fort auf leisen Socken.

Die Ampel tickt nervös: Nun geh schon! Geh doch endlich! Ich denke daran, dass die BSR-Männer bestimmt eine Familie haben. Wenn ihre Kinder zur Schule gehen, kommen sie nach Hause. Wenn die jetzt Feierabend hätten, dann wüssten die wohin. Und ich stehe immer noch an dieser Ampel und beantworte ihr penetrantes Ticken mit dem Geknirsche unter meinen Winterstiefeln. Die fleißigen Füchse haben mir Sand ins Getriebe gestreut. Ich stehe hier wie ein Rennpferd in den Startlöchern und scharre mit den Hufen. „Pirschen statt knirschen!“, sagt die Ampel. Ich renne wiehernd in die Dunkelheit.

(Teil 1/12 aus der Reihe „Aus der Bahn“, veröffentlicht in den Prenzlberger Ansichten, Januar 2014)

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