Teil 4: Arthur Schopenhauer (1788-1860)

Von 1820-1821 erste Lehrtätigkeit an der Berliner Universität

Porträt des Philosphen Arthur Schopenhauer, 1852Arthur Schopenhauer kam von seiner ersten Vorlesung nach Hause. Dort wartete sein geliebter Pudel auf ihn, den er Atma (altindisch: Einzelseele) nannte. Schon beim Eintreten war der Philosoph in Rage, feuerte seine Tasche auf einen Stuhl und fluchte vor sich hin:

Und wieder einmal gilt mir dieser Reinfall als der beste Beweis für die Dummheit der Menschen. Diese armen, verängstigten Kreaturen; diese Banausen. Lassen sich von diesem Unsinnschmierer Hegel Afterweisheiten aufbinden und haben keinerlei Sinn für die wahrhaft großen Denker.“

Atma blickte aufmerksam zu seinem Besitzer, als verstünde er genau, wovon er sprach. Schopenhauer beugte sich zu seinem Pudel und tätschelte ihm sanft den Kopf: „Ach, Atma, mein mysteriöser Gefährte. Dein ehrliches Gesicht lässt mich die Falschheit der Menschen einen Augenblick vergessen.“

Schopenhauer rüstete seinen Hund für einen längeren Spaziergang. Nach diesem enttäuschenden Tag brauchte er das. Es verärgerte ihn, dass bei seiner ersten Veranstaltung gerade einmal fünf Studenten anwesend waren. War er zu übermütig gewesen? Schließlich hatte er seine Vorlesung absichtlich parallel zu der von Friedrich Hegel gelegt. Dieser war in den letzten Jahren zum Popstar des Deutschen Idealismus avanciert und scharrte beizeiten an die zweihundert Zuhörer um sich. Schopenhauer hingegen war ein unbekannter Privatdozent, sein Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ war zwar bereits im Vorjahr erschienen, hatte jedoch bis dato kaum Aufmerksamkeit erregt. Etwas übermütig auch der Titel seiner Vorlesung: „Gesammte Philosophie, d.i. die Lehre vom Wesen der Welt und dem menschlichen Geiste“.

Nachdem sich im weiteren Verlauf der Vorlesung seine Anhängerschaft nicht vermehrt haben würde, verließ Schopenhauer im kommenden Jahr Berlin, um sich auf eine längere Reise nach Italien zu begeben. Der Verlust seiner Dozentenstelle und eine längere Schreibpause, bereiteten Schopenhauer einige Geldsorgen. 1819 war das Handelshaus in Danzig zusammengebrochen, in dem er einen Teil seines Vermögens deponiert hatte. Außerdem bezahlte er einen seiner Wutausbrüche gegenüber der Näherin Caroline Louise Marqet mit jahrelangen Rentenzahlungen. Der Philosoph hatte die 47-Jährige – von ihrem Frauengeschwätz derart in Rage gebracht – so unsanft aus der Wohnung geworfen, dass sie stürzte und bis an ihr Lebensende Schäden davontrug. Auch mit seinem Verleger F.A.Brockhaus hatte er sich überworfen. In einem Brief schrieb er diesem, er habe mit den „Konversationslexikons-Autoren und ähnlich schlechten Skriblern“ nichts gemein und wolle dementsprechend anders behandelt werden, sah er sich doch nicht nur als Philosoph, sondern als Schriftsteller und Bewahrer der deutschen Sprache. Seine schriftstellerische Herangehensweise an philosophische Probleme wurde zu Lebzeiten ebenso wenig geschätzt, wie seine wegweisende anthropologisch fundierte Metaphysik.

Schopenhauer war einer der ersten Philosophen, der nach dem Idealismus nicht mehr einen Schwerpunkt auf den Geist und das Denken, sondern auf die Leiblichkeit legte. Seine Reflexionen über die natürlichen Triebe und die Sexualität setzten einen Grundstein für die Psychoanalyse des 20.Jahrhundert. Außerdem thematisierte er das Tier als gleichgestelltes Wesen. Besonders Hunde waren für Schopenhauer ein Mysterium und die Urkraft des Lebendigen. Das Mitleid zu Mensch und Tier postulierte Schopenhauer als eines von drei Möglichkeiten, sich vom ewigen, destruktiven Kreislauf der Welt zu entlasten.

Für Schopenhauer war der Wille das Urprinzip der Welt, Ursache für Leid und Lust und Anstoß für das ewige Pendel zwischen Hoffnung und Langeweile. Um an seinen Sehnsüchten nicht einzugehen, müsse der Mensch laut Schopenhauer eine asketische Einstellung zum Leben entwickeln, die er entweder durch Mitleid, durch Kunst oder durch Resignation erreichen könne. Die Freiheit der Menschen sah er nicht im Fortschritt und in der Produktivität, sondern in der Fähigkeit zur Entsagung und Verneinung.

Schopenhauer selbst gelang es zu Lebzeiten nicht, seine Gedanken praktisch umzusetzen. All zu oft gab er sich seinen Affekten hin, und wandte sich mit verbaler und physischer Gewalt gegen Frauen, Akademiker und Schriftsteller. Seine seligen Pudel schienen ihm eine der wenigen Harmoniequellen.

Was kurz danach geschah:

1825: Schopenhauer kehrte für Lehrtätigkeiten erneut nach Berlin zurück. Seine Vorlesungen blieben weiterhin schlecht besucht.

1831: Schopenhauer gab seine Wohnung in der Dorotheenstraße endgültig auf, als in Berlin eine Choleraepidemie ausbrach. Bis zu seinem Tod 1860 wohnte Schopenhauer in Frankfurt am Main.

Ein unsterblicher Satz:

Jede Lebensgeschichte ist eine Leidensgeschichte.“

Im März erwacht zum Leben: Georg Wilhelm Friedrich Hegel – deutscher Idealist, zeitweiliger Zimmergenosse von Hölderlin und Schelling und Anhänger der konstitutionellen Monarchie Preußens.

 

Teil 1: Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951)

Von 1906 – 1908 Maschinenbau-Student an der Königlich Technischen Universität zu Berlin

Wittgenstein+in+1905+$28aged+16$29Es war irgendein Montag in irgendeinem Monat im Jahr 1907, als der 18-jährige Ludwig einen folgenschweren Entschluss fällte. Entscheidungen hatten bis dato immer andere für ihn übernommen. Sein Vater Karl, der Stahlmagnat, war einer der reichsten Männer in Österreich-Ungarn. „Geh nach Berlin! Mach deinen Doktor!“, hatte der gesagt. „Werd Unternehmer! Wie dein Vater!“, setzte er nach.

Der Vater war kein Mann der vielen Worte, er ließ Taten sprechen. Und Musik. Richard Strauss, Gustav Mahler und Johannes Brahms gingen bei den Wittgensteins in Wien ein und aus und Paul, Ludwigs exzentrischer Bruder, war ein Virtuose am Piano. „Ein Künstler und zwei Freitote in der Familie genügen!“, hatte der Vater gesagt.

Ohnmächtig war Ludwig dem Wunsch des Vaters gefolgt. Auch wenn er tief im Inneren spürte, dass ihn ganz andere Geister umgaben. Es war gerade mal drei Jahre her, dass sein ältester Bruder Rudolf sich hier in Berlin das Leben genommen hatte. Ein lebensmüder, homosexueller Lebemensch und der beste Bruder der Welt – verlebt. Viel zu schnell.

Ludwig fand in sich die ernüchternde Erkenntnis, dass alles, was ist, viel zu schnell verfliegt, wie ein betörender Geruch oder ein schöner Augenblick.

Wie lässt sich das Gewesene konservieren? Und was ist beständig?

Wenn wirklich gar nichts bliebe, würde Ludwig nicht länger zögern und es seinem Bruder gleich tun!

Ludwig fuhr hoch. Vom eigenen Gedanken erschrocken. Der hochverehrte Professor Georg Schlesinger stand am Pult und erzählte etwas über DIN 8580 ff. Oder DIN 69651? Genau genommen interessierte es Ludwig nicht. Es war auch gar nicht sein Gebiet, hatte er sich doch auf flugtechnische Fragen spezialisiert. Er wollte bald einen Flugzeugmotor bauen. „Wenn alles verfliegt“, dachte er, „dann will ich wenigstens mit!“.

Ein durchaus konsequenter Entschluss, doch seine Gefühle und Gedanken flogen chaotisch durcheinander.

Spielt es eigentlich so eine große Rolle, was man sagt, wenn man weiß, wer man ist?“, dachte er. „Erklären wir uns mit unserem Gefasel nicht vielmehr ununterbrochen selbst, dass wir keine Antworten auf irgendetwas haben, und uns unsere Ungewissheiten und Zweifel nur tot zu reden versuchen.“ – Ludwig dachte zu viel nach. Doch im Nachdenken fand er am ehesten den Ruheort, den ihm weder Familie noch Studium geben konnten. „Die Abstraktion des Unaussprechlichen“, dachte er jetzt, „ist in seiner Irrelevanz das eigentlich Ehrliche.“, und strich dabei sanft über den Rücken eines Buches. „The Principles of Mathemathics“, sagte er.

Wie meinen?“, wollte Professor Schlesinger wissen. Ludwig erschrak. Er hatte nicht bemerkt, dass der Dozent neben ihm stand und ihn herausfordernd beäugte. Ludwig erhob sich von seinem Sitzplatz. „The Principles of Mathemathics“, wiederholte er, während er das Buch in die Höhe hielt, „von Bertrand Russell.“

So, So …“, sagte der Professor, „Nun setzten Sie sich mal wieder hin, ja?“

Einige Kommilitonen lachten. Ludwig musterte sie mit einem so durchdringenden Blick, dass sie augenblicklich wieder verstummten. Er wollte diesem Professor Schlesinger ja gern besser zuhören. Aber er wollte auch gern diesen Bertrand Russell kennenlernen. Alles wäre so viel einfacher, wenn er einfach diesen verflixten Flugzeugmotor bauen würde. Wenn die düsteren Gespenster hinter seiner Stirn endlich Ruhe geben würden, dann würde es ihm vielleicht als einzigen Wittgenstein-Bruder mal gelingen, ein ganz normales Leben zu führen. Ohne Exzesse, Freitod und Manien. Aber es half nichts. Er war ein Wittgenstein. Ludwig Wittgenstein. Und er wird seinen Weg gehen …

Was kurz danach geschah:

1908: Diplom Maschinenbau

1911: Studium bei Bertrand Russell, Cambridge (UK)

1922: Veröffentlichung des „Tractatus Logico-Philosophicus

Ein unsterblicher Satz:

Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“

Im September erwacht zum Leben:

Johann Gottlieb Fichte – Kant-Verehrer, Wissenschaftstheoretiker, Freimaurer, Napoleon-Gegner und erster Rektor der Berliner Universität zu Berlin