Teil 8: Hannah Arendt (1906-1975)

Von 1929 bis 1937 erste Ehe mit Günther Stern

 

arendt1924 begegnen Arendt und Stern sich zum ersten Mal auf Kant- und Hegel-Seminaren in Marburg. Günther Stern fällt Arendt durch seine intellektuelle Brillanz auf. Doch die 18-jährige Studentin hat nur Augen für ihren Professor. Mit Martin Heidegger pflegt sie ein erotisches Verhältnis. Es wird weitere fünf Jahre dauern, bis die ehemaligen Kommilitonen sich in Berlin, fern vom ewigen Nebenbuhler Heidegger, auf einem Tanzball näher kommen. Günther Stern kokettiert in seinen Aufzeichnungen mit der Behauptung, Hannah an diesem Abend durch ein kantianisches Versprechen für sich gewonnen zu haben, das sich leider nie bewahrheitet: „Lieben sei derjenige Akt, durch den man etwas Aposteriorisches: den zufällig getroffenen Anderen, in ein Apriori des eigenen Lebens verwandle.“

Auf diesem intellektuellen Niveau führt sich das Verhältnis der beiden jungen Philosophen fort. Zwar habe es nach Stern sinnliche Momente zwischen ihnen gegeben; er erinnere sich an leidenschaftliche Kirschen-Orgien auf dem gemeinsamen Balkon in Potsdam-Drewitz – Hannah sei ebenso süchtig nach Kirschen wie nach Zigaretten gewesen; sie habe die Kirschen vermutlich samt Kern und Stiel verschlungen, so Stern. Und doch bleibt ihre größte geteilte Leidenschaft der philosophische Dialog.* Erotische Gefühle oder gar Liebe hebt Hannah sich für Andere auf. Auf dieser sachlich-romantischen Grundlage heiraten Hannah Arendt und Günther Stern noch im selben Jahr. Hannah Arendt wird später resümieren, sie habe geheiratet „ganz gleich wen, ohne zu lieben.“ Und das tat sie angeblich mit vollem Bewusstsein; sei es aus Trotz; sei es, um die Trennung von Heidegger zu überwinden; sei es, um der Lebens-und Liebesgeschichte der jüdischen Saloniére und Schriftstellerin Rahel Varnhagen nachzueifern.

Zu dieser Zeit arbeitet Hannah Arendt nämlich an einer Studie über Rahel Varnhagen, ergründet deren Liebesleben und überträgt ihre biografische Arbeit vermutlich auf ihre eigene Situation. So schreibt Arendt, Rahel habe sich ihren romantischen Amouren abgewandt und Karl August Varnhagen geheiratet, um lieber „einsam mit einem zweiten zusammenzuleben, als an (…) platonischer Bewunderung zugrunde zu gehen.“ Parallel dazu habe ihre erste große Liebe Heidegger sie „zum Leben erweckt“ und Günther Stern ihr, vermutlich, das Leben gerettet. Denn Stern zeigt sich seiner Ehefrau gegenüber nicht nur intellektuell ebenbürtig. Er ist gutmütig, bewundernd, und: er liebt sie. Der hingebungsvolle Ehemann erhofft sich eine romantische Lebens- und Denkgemeinschaft mit dieser rebellischen Frau, doch bereits 1933 scheiden sich die philosophischen und politischen Interessen der Eheleute. Günther Stern hat in der Zwischenzeit einen neuen Nachnamen. Er nennt sich jetzt Günter Anders und verkehrt im Umfeld von Bertholt Brecht. Hannah Arendt schreibt weiterhin an ihrem Rahel-Werk und hat erste Kontakte zu Zionisten aufgenommen.

1937 lassen sich Arendt und Anders scheiden. Nach dem Reichstagsbrand flieht er nach Paris. Sie bleibt vorerst in Berlin und riskiert eine Verhaftung durch die Gestapo. Nach ihrer Freilassung folgt sie Günther Anders ins Exil nach Paris. Dort verfällt Hannah Arendt bald dem herrschsüchtigen Heinrich Blücher, den sie 1940 heiraten wird. Ihr zweiter Ehemann stellt für Arendt gewissermaßen einen gesunden Kompromiss zwischen dem erotischen Machtspiel mit Heidegger und dem Vernunftbündnis mit Günther Anders da. Blücher wird ihr Heimat, Leidenschaft, Eigenständigkeit und Liebe. Mit ihm und ihrer Mutter immigriert Hannah Arendt 1941 in die USA.

*Einen lebhaften Eindruck der philosophischen Dialoge zwischen Günther Stern und Hannah Arendt verschafft das Buch: „Die Kirschenschlacht. Dialoge mit Hannah Arendt“ (Günther Anders, C.H.Beck, 2011).

Was danach geschah:

Ab Oktober 1941: Arendt schreibt für das deutsch-jüdische Magazin ‚Aufbau‘ in New York.

1949-1952: Arbeit als Geschäftsführerin für die Organisation zur Rettung und Pflege jüdischen Kulturguts (JCR).

1949/50: Deutschland-Reise im Auftrag der JCR. Kontaktaufnahme zu Heidegger und Karl Jaspers.

04.12.1975: Hannah Arendt stirbt in New York an einem Herzinfarkt. Sie wird neben ihrem Mann Heinrich Blücher begraben.

Ein unvergesslicher Satz: „Eine große Liebe lässt sich durch die Realität des Geliebten nicht stören.“

(erschienen in den Prenzlberger Ansichten, September 2015)

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