In den nächsten 5,5 Jahren wird es in der Schweiz einen Volksentscheid zur Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens geben. Laut Gesetzesentwurf sollen jedem Schweizer 2500 Franken ausgezahlt werden, ca. 2025 Euro. Soviel Geld fürs Auf-der-faulen-Haut-Liegen? Hier kommen einige Argumente, warum die Egalomanie abnehmen würde, sofern ein Bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt würde.
Ich habe in diesem Jahr meine Erststimme dem Kollegen Ralf Boes gegeben, der die Initiative Bedingungsloses Grundeinkommen ins Leben rief und für sein Ideal in den Hungerstreik trat. Den Wahlkreis Mitte hat er mit 0,8 % nicht für sich gewinnen können. Stattdessen ist auf seiner Website aktuell von gesundheitlichen Folgeerscheinungen seiner Hunger-Aktion zu lesen. Ist so viel Einsatz lohnenswert? Was ist das für ein Mensch, der lieber hungert, als Hartz IV zu bekommen? Ralf Boes studierte u.a. Germanistik und Philosophie in Heidelberg. Als er selbst aus familiären Gründen auf finanzielle Hilfe für Frau und Kind angewiesen war, begann sein Windmühlen-Kampf gegen das entmündigende Sozialsystem. Seither engagiert er sich als Dozent, Sozialarbeiter und Bürgerinitiativler für eine Besserung der prekären Situation in Deutschland, die nach Boes mit der Einführung des Hartz IV seinen Höhepunkt erreichte.
Was ist eigentlich so schlimm an Hartz IV? Sollten die Menschen nicht glücklich sein, dass ihnen bei der Jobsuche geholfen wird und sie monatlich Geld bekommen? Die Argumente, dass Hartz IV jedem Menschen eine Möglichkeit auf Arbeit gibt, die Belange des Einzelnen berücksichtigt und zur Grundsicherung beiträgt, laufen auf philosophischer und psychologischer Sicht ins Leere. Jeder, der schon einmal auf soziale Hilfe angewiesen war – sei es Bafög, Wohngeld oder Hartz IV – weiß wahrscheinlich, auf welches entmündigende und entwürdigende Gefühl Ralf Boes referiert. Zuerst einmal stellt sich ein Gefühl der Schuld und des Versagens ein. Ich habe versagt, weil ich aus dem Arbeitssystem falle, weil ich mich für etwas interessiere, das nicht gewürdigt wird – Ist das meine Schuld? Umso mehr unterliege ich dem äußeren Druck, erfolgreich zu sein. Aber dieser Zwang, etwas bestimmtes tun zu müssen, wirkt lähmend statt fördernd; In jemandes (beispielsweise eines Amtes) Schuld zu stehen wirkt lähmend statt fördernd. Der Philosoph Peter Bieri (ein Schweizer!!!) schreibt in seinem Buch „Das Handwerk der Freiheit. Über die Entdeckung des eigenen Willens“:
Im Innern von fremd anmutenden Wünschen umstellt zu sein, ist, als ob man innerhalb von Gefängnismauern lebte, und das Verstehen ist das Mittel, sie niederzureißen.
Wenn ich abhängig bin, bin ich aber fremdbestimmt und demnach unfrei. Das Einzige, das das Sozialsystem noch aufrecht hält, sind die Unsicherheit und Angst der Bürger, die schon lange nicht mehr verstehen, was sie da tun. Im besten Fall bleibt ihnen ihr schlechtes Gefühl. Ich hatte dieses schlechte Gefühl beispielsweise in der letzten Woche auf dem Bürgeramt Wedding. Mein Mitbewohner besitzt keine EC Karte, aber im Bürgeramt ist Bar- und Kreditkartenzahlung nicht möglich. Also mussten wir zum Rathaus Wedding fahren, an einen Kassenautomaten gehen, seine Gebühren begleichen und mit der Quittung zurück zum Bürgeramt fahren. Mit was für einem Gefühl von Sinnlosigkeit fährt man in diesem Fall durch die Stadt? Und dem Mitarbeiter sieht man an, dass er sich freundlich lächelnd jeder Verantwortung entzieht, denn „er hat ja die Gesetze nicht gemacht, er macht ja nur seinen Job“. Ähnlich könnte auch unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel argumentieren: Hartz IV hat sie ja wirklich nicht gemacht – aber auch nicht verhindert. Der Merkel-Kult ist für mich das beste Zeichen für eine ängstliche, unkreative und unmündige Wählerschaft. Merkel ist nahezu unpolitisch und deshalb ist es kein Wunder, dass sie sogar ihre Anhänger in der Hipster-Szene gefunden hat, der womöglich unpolitischsten Jugendbewegung aller Zeiten.
Ich habe allmählich das Gefühl, viele Bürger sind von einer Egalomanie betroffen und sehen die Gefängnismauern gar nicht mehr, innerhalb derer sie ihre Kreise laufen. Dieses Gefühl der Entfremdung macht uns zu einer kranken Gesellschaft, einer Borderline Gesellschaft. Wir sind Missbrauchsopfer, die mit ihren Tätern sympathisieren. Jedes neue Gesetz, ist ein Gesetz zu viel, wenn nicht zuvor zehn andere abgeschafft werden, denn im Paragraphendschungel erkennen wir ja bald das wichtigste aller Gesetze nicht mehr: Das Gesetz der Gefühle. Weg mit der Gefühlsleere, her mit einer Gefühlslehre! Wie soll Simone de Beauvoir so schön gesagt haben?: „Ein Gefühl ist ein Engagement, das den Augenblick überschreitet“. Was einmal gefühlt, ist längst entschieden, also beginnen wir doch einfach wieder damit, uns auf unser Gefühl zu verlassen und engagieren uns ihm entsprechend. Ralf Boes hat das getan. Aus seiner Aktion spricht tiefste Verzweiflung. Vielleicht, weil seinem Ideal des Bedingungslosen Grundeinkommens so große Steine in den Weg gelegt werden. Bis Januar 2014 sammelt die Europäische Bürgerinitiative zum Bedingungslosen Grundeinkommen noch Unterschriften. Nicht einmal ein Viertel der geforderten 1 Millionen Stimmen sind bisher gesammelt worden. Ich habe dabei ein ungutes Gefühl.