„Selig sind, die da immer nur fernsehen wollen, angstfrei sind, die wissen, daß Bilder nicht beißen, wunschlos glücklich sind, denen auf Knopfdruck die ganze Welt vor Augen erscheint.“

In der September-Ausgabe schrieb ich über den Philosophen Armen Avanessian. Nach Byun-Chul Han, Philipp Ruch und Armen Avanessian stelle ich mit Bazon Brock nun den vierten Gegenwartsphilosophen vor. Bazon Brock betreibt seit 2011 in Kreuzberg die „Denkerei“ und liefert mit ihr einen wichtigen Beitrag zum kulturellen Stadtleben.
Es scheint eine Eigenart der Gegenwartsphilosophie zu sein, sich über die akademischen Grenzen hinaus zu positionieren. Aktuelle Philosophen treten nicht mehr nur in Vorlesungssälen auf, um eine müde Studentenschaft mit antiquierten Termini zu bombardieren; ihre Themen kreisen nicht um metaphysische Probleme, die unsere geschichtliche und gesellschaftliche Lage gar nicht erst tangieren. Stattdessen äußern sie sich in politischen Talkshows oder verpacken ihre Botschaften in Kunstperformances. Neben den Philosophen Richard David Precht, Peter Sloterdijk und Slavoj Žižek ist Bazon Brock wohl eins der bekanntesten Gesichter dieser Medienphilosophen. Wobei die Begriffe Medien- oder Populärphilosoph auf Bazon Brock wohl nur in einem ganz bestimmten Sinne zutreffen: Seine Gesellschaftskritik fällt oft vernichtend aus, seine Kunst ist keineswegs massenkompatibel.
Als er 1959 an der Hamburger Kunsthochschule zusammen mit Friedensreich Hundertwasser und Herbert Schuldt eine „Endlose Linie“ zeichnete, löste das große Skandale aus. Die Linie war am Ende zehn Kilometer lang, sie ging über Wände und Türen eines Seminarraums und sollte vor allem eins ausdrücken: Akademische Kunst geht mir gegen den Strich. Bazon Brock wendet sich gegen die traditionelle, normative Ästhetik der Aufklärung. Er war in der Fluxus-Bewegung aktiv, beteiligte sich zu Beginn der 60’er Jahre auch an Kunst-Happenings mit Joseph Beuys. Nach Brock sollte Kunst nicht einer bestimmten Elite, sondern jedem Menschen zugänglich sein, frei nach dem Leitspruch von Beuys: Jeder Mensch ist ein Künstler. Er ist mehr Philosoph, denn Kunstwissenschaftler.
Wie sehr ihm die westliche Politik gegen den Strich geht, äußert Bazon Brock regelmäßig in Fernsehsendungen. Einige mögen sich noch an das Interview vor zwei Jahren zur „Männerfreundschaft“ zwischen Putin und Schröder erinnern, in dem er mit Inbrunst über die „Heuchlerei“ und „Verdorbenheit“ des Westens sprach. Die Moderatorin mag er in diesem Interview einigermaßen an die Wand geredet haben. Und das ist kein Wunder – schließlich bedeutet sein selbst gewählter Künstlername „Bazon“ auf Griechisch schlicht: Schwätzer. Bei seinen Auftritten übermittelt er implizit die Botschaft, man müsse frei reden, solange und wo man nur könne. Und er geht dieser Devise mit gutem Beispiel voran.
Bazon Brock mag es, mit Menschen aus verschiedensten Milieus zu diskutieren und streiten. Als Diskussionsforum dient ihm seit 2011 seine Berliner „Denkerei“.
Die Idee zur „Denkerei“ reicht bis in das Jahr 1968 zurück. In diesem Jahr gründete Bazon Brock während der Kasseler dokumenta 4 eine „Besucherschule“. Hier vermittelte der frisch gebackene Ästhetikprofessor Bazon Brock den Besuchern ein Verständnis der zeitgenössischen Kunst jenseits von Richtig und Falsch. Auch wenn seine Besucherschule 1982 eingestellt wurde, engagierte er sich weiter für die nicht-normative Kunstvermittlung. Seine „Denkerei“ in Berlin ist hierfür einer der wichtigsten Anlaufpunkte.
Die „Denkerei“ befindet sich am Kreuzberger Oranienplatz. Sie organisiert Veranstaltungen in den Bereichen Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft. Meist ist der Eintritt zur „Denkerei“ frei, erfordert jedoch eine vorherige Anmeldung. Eine empfehlenenswerte Veranstaltung ist in diesem Monat das vom 17.-18.11 stattfindende Symposium zur Gegenwart und Zukunft des Journalismus. Mit Gästen wie dem ZIP 2-Moderator Armin Wolf, dem Regierungssprecher Georg Streiter und der freien Journalistin Silke Burmeister wird Bazon Brock über neue Wege des investigativen Journalismus diskutieren. Die Veranstaltung möchte die hohe Bedeutung der Recherche in Zeiten von anhaltender Medienkritik und zugespitzter politischer Lage hervorheben.
Mehr zu Bazon Brocks Denkerei auf: www.denkerei-berlin.de
Im Januar 2017 werde ich zum letzten Mal über einen Berliner Denker schreiben. In der nächsten Ausgabe werde ich mich mit dem Philosophen Dr. Michael Gutmann beschäftigen. Gutmann betreibt in Prenzlauer Berg eine Philosophische Praxis, in der er therapeutische Ansätze mit der Philosophie von Sokrates vereint.
(veröffentlicht in den Prenzlberger Ansichten, November 2016)