FREI ABER FEIGE
Vom Luxusproblem, mit 27 sterben zu müssen
Wir sind umzingelt von einer Kompromisslosigkeit, die uns lähmt.
Ich habe das Gefühl, in unserer alltäglichen Kommunikation wurde das Wort „Aber“ zu Marketing-Zwecken wegrationalisiert. In jedem Rhetorik-Seminar wird das „Aber“ aus psychologischen Gründen als Unwort tituliert, denn von frühster Kindheit haben wir gelernt, dass mit diesem Wort Rechtfertigung oder Kritik auf eine destruktive Art zum Ausdruck kommt: „Dein Zimmer hast du gut aufgeräumt, aber deine Hausaufgaben hast du nicht gemacht.“,„Das Essen hat gut geschmeckt, aber die Kartoffeln waren zu weich.“ Durch den „Aber“-Nachsatz, wird das vorangegangene Lob zu Nichte gemacht. Deshalb haben wir gelernt, das Wort zu umgehen. Der Lernprozess erfolgt zum größten Teil unbewusst, nämlich, indem „Aber“ in unserer Umgebung einfach nicht mehr vorkommt. Diesen Trend halte ich für sehr gefährlich, weil paradox. Das „Aber“ ist Teil unseres Denkens in einer Welt voller Möglichkeiten. Aber wir dürfen es nicht artikulieren, da wir sonst Schwäche zeigen?
Ich gehe davon aus, dass dieser vorgelebte Größenwahn dafür zuständig ist, dass ein großer Teil meiner Generation der Mitzwanziger resignierend in einer Medienflut untergeht, da der Widerspruch von äußeren unbegrenzten Möglichkeiten und innerer begrenzter Handlungsfreiheit zu einem erdrückenden Zwang verlaufen sind. Wir sind umgeben vom Besten des Besten und wir können nur mitschwimmen, wenn wir aus der Fülle an Möglichkeiten die Beste wählen. Wir unterliegen einem ständigen Entscheidungszwang.
Unsere Freiheit ist uns zum Unglück geworden. Wir können so viel, aber wir schaffen gar nicht alles. Wir müssen sogar im Schnellimbiss zwischen fünf Brotsorten und 10 Soßen wählen, wir müssen ständig Entscheidungen treffen mit dem bedrückenden Gefühl, dass es immer eine bessere Wahl gibt. Und du kannst scheitern. Du scheiterst sogar am Brot! Hast „Sesam“ genommen, aber dein Freund hat „Honey Oat“. Seins schmeckt viel besser, aber du hattest Angst davor. Wusstest nicht was Oat ist. Hast Angst vor Oat? Das hat nichts mit dem OAT-Syndrom zu tun (Oligo-Astheno-Teratozoospermie-Syndrom). OAT ist Englisch für Hafer. Lass dir sagen: Asiago Ceasar ist auch viel besser als Senf. Weißt du, wie man das ausspricht? Nicht? Dann bleibts bei Sesam und Senf…
Und das ist ein Problem! Ein Luxusproblem! Und das paradoxe ist, dass du dich aus diesem Paradox der Unfreiheit durch ein Übermaß an Freiheit nur befreist, wenn du es durch ein weiteres Paradox ausstichst: Zeige Größe, indem du versuchst, nicht groß zu sein.
Ich habe für ein Jahr eine Wochenzeitung abonniert, sie hatte ihren Preis und ich wollte diese Invesition bestmöglich nutzen, indem ich die Zeitung genaustens studiere. Leider war es mir aus Zeitgründen nicht möglich, alles von Politik bis Feuilleton wöchentlich zu inhalieren, ich fühlte mich schlecht.
Warum bezahle ich einen Kosmos und bereise nur drei Planeten? Die Erde hat auch fast 200 Länder und ich könnte sie alle bereisen und es gibt rund 3000 Sprachen und ich könnte jede lernen. Aber ich kann nicht! Ist das nicht ungerecht? Schenkt uns das Leben diese Freiheit und diese Intelligenz, um nur einen Bruchteil dessen zu nutzen? Ja! Und wir haben die Qual der Wahl. Bevor wir wählen, müssen wir wissen, was wir wollen. Es ist ganz natürlich, dass eine Generation wie unsere, die nahezu alle Möglichkeiten hat, eine längere Zeit benötigt, um die richtige Entscheidung für sich zu finden. Nicht selten beobachte ich bei meinen Freunden und auch bei mir eine aus dem Übermaß an Freiheit resultierende Gelähmtheit: Wir schaffen es einfach nicht. Wir sind der Klub 27: Wir sind Jimmy Hendrix, Kurt Cobain, Janis Joplin, Jim Morrison, Heath Ledger und Amy Winehouse. Wir gleiten in einem goldenen Drogenmobil zehn Zentimeter über dem Regenbogen-Highway direkt in den frühen Tod. Jetzt müssen wir sogar schon mit 27 sterben, um groß zu sein. Aber warum geht niemals irgendetwas dazwischen?