„Wir leben in einer Trockenphase der Weltgeschichte. Es gilt, sie mit Schönheit zu tränken.“
In der Ausgabe Mai 2016 erfuhren wir von dem Berliner Philosophen Byung-Chul Han sein Rezept gegen die kranke Informationsgesellschaft: Denken und meditieren lernen. Auch unser heutiger Denker kritisiert den Kapitalismus. Doch Philipp Ruch belässt es nicht bei Worten. Auch „tiefe Langeweile“ liegt ihm fern. Der Philosoph und Aktionskünstler will Worte in die Tat umsetzen und Politik poetisieren.
Der 35-jährige Philipp Ruch hält seine eigene Generation für willenlos und ichbezogen. Deswegen gründete er 2008 das „Zentrum für politische Schönheit“ (ZPS).Mit Kunstaktionen versuchen Ruch und seine Mitstreiter gegen Politikverdrossenheit anzugehen. Über Facebook, Twitter, Youtube und Co. verbreiten sie die aktuellen Aktionen. Stets geht es dem ZPS um eine Vermischung von Wirklichkeit und Möglichkeit. So borgten sich die Aktivisten vor der 25-Jahrfeier des Mauerfalls (2014) vierzehn weiße Kreuze, die am Spreeufer aufgestellt worden waren, um den Mauertoten zu gedenken. Mit der zeitweiligen Entwendung der Kreuze wollte das ZPS an das tägliche Sterben an den EU-Außengrenzen erinnern. Die Aktivisten fotografierten zu diesem Anlass Flüchtlinge in Marokko mit den vermeintlichen Mauer-Kreuzen.
Philipp Ruch thematisiert mit Aktionen wie diesen auch die Grenzen der künstlerischen Freiheit. Für ihn sollte Kunst politisch und Politik schön sein. Deshalb nutzt er ganz Berlin als Bühne für seine Performances und zeigt, dass idealistische Kunst fähig ist, auf politische Entscheidungen einzuwirken. Als Künstler deutet Ruch mit seinen Inszenierungen über die Wirklichkeit hinaus; er zeigt nicht, was ist, sondern was sein sollte. Da seine Inszenierungen nicht von Schauspielern an Theaterbühnen, sondern von realen Menschen an realen Orten aufgeführt werden, gewinnen die „hyperrealistischen Aktionen“ des ZPS an politischer Relevanz.
Und seine Kunstaktionen werden von mal zu mal radikaler: Im Juni diesen Jahres warteten vier Tiger vor dem Maxim-Gorki-Theater darauf, bereitwillige Flüchtlinge zu verspeisen. Besucher konnten sich von der Existenz der Tiere überzeugen. Im Vornherein mögen es schon viele Menschen für unwahrscheinlich gehalten haben, dass es am 28. Juni tatsächlich zur angekündigten Verfütterung von Flüchtlingen kommen würde. Allerdings wird erst zum Erscheinen dieses Artikels feststehen, was sich an diesem Tag in den Tigerkäfigen abgespielt hat. Ähnlich unwahrscheinlich scheint die Meldung des ZPS, dass die Tiger vor dem Gorki-Theater aus Libyen stammten. Dies ist wohl eher eine Anspielung auf die sogenannten „Tiger“-Hubschrauber, welche die NATO unter anderem 2011 im Kampf gegen Gaddafi in Libyen einsetzte.
Mit ihren provokativen Falschmeldungen wollte das ZPS diesmal auf die Unmenschlichkeit von „2001/51/EG“ des Europäischen Rates und §63 des Aufenthaltsgesetzes der BRD aufmerksam machen. Demnach drohen all jenen Beförderungsunternehmen hohe Geldstrafen, die Menschen ohne gültige Einreisepapiere in die EU transportieren. Laut dem ZPS fördere diese Richtlinie das Geschäft von korrupten Schlepperbanden und Deutschland würde diese Unmenschlichkeit zusätzlich in §63, Abs.3 manifestieren. Die Kunstaktion „Flüchtlinge Fressen“ beabsichtigte jedoch nicht nur Provokation, sondern brachte auch einen Verbesserungsvorschlag zum Status Quo der Flüchtlingspolitik: Die Aktivisten forderten eine Europäische Luftbrücke, die geflüchteten Familien, die in Deutschland Recht auf Asyl haben, die Einreise erleichtert und Schlepperbanden das Handwerk legt. Zur Durchführung der Luftbrücke stellte das ZPS ein Flugzeug namens „Joachim 1“ und fand hundert Syrer, die als potenzielle Passagiere am 28.Juni von Izmir (Türkei) nach Berlin-Tegel fliegen würden. Ob sich die Bundesregierung dem Einflug der Flüchtlinge entgegen stellt, wird ebenfalls erst zum Erscheinen dieses Artikels entschieden worden sein. Jedoch steht schon jetzt fest, dass das „Zentrum für politische Schönheit“ ihrer vermeintlich lethargischen Generation mit Tatendrang und Willensstärke entgegenstrebt.
(veröffentlicht in den Prenzlberger Ansichten, Juli 2016)